Yassin —  Ein Ehema­liger erzählt seine Geschichte 

Interview mit einer Jugendlichen von LOOP@home

Es ist Dienstag früh, Ende Juli, die Sonne scheint warm und mild auf den Balkon in der 1. Etage eines 2‑Familienhauses in Neuss. Mir gegenüber sitzt Yassin ZF., 22 Jahre alt.
Ein junger Mann, der 2015 als unbeglei­teter Flüchtling zufällig nach Deutschland kam. Inzwi­schen beherrscht er die deutsche Sprache ausge­zeichnet. Er erlaubt mir, ihn zu duzen. Er wohnt hier in Neuss bei Jörg F., der Yassin seit langem betreut und begleitet, zunächst in LOOP@home. Inzwi­schen ist Yassin der Adoptivsohn von Jörg.

Yassin ist afgha­ni­scher Staatsbürger.
Er gewährt mir in diesem Interview einen Einblick in seine Geschichte, wie er nach Deutschland kam, was seine Motivation für die Flucht war und ein wenig auch, was er erlebt hat und wie er die Jugend­hil­fe­maß­nahme LOOP@home für sich genutzt hat.

Yassin: Ich bin Yassin und 22 Jahre alt. In Deutschland bin ich seit Dezember 2015. Ende Dezember.

LOOP: Und wo kommst du her?
Yassin: Aus Afgha­nistan. Ich bin aber im Iran aufge­wachsen. Ich bin in Afgha­nistan geboren. Als ich 2 Jahre alt war, bin ich mit meinen Eltern und meinem großen Bruder in den Iran gezogen und da bin ich aufge­wachsen, bis zu meinem 15. Lebensjahr und dann bin ich nach Deutschland gekommen.

LOOP: Und wie bist du nach Deutschland gekommen?
Yassin: Wie viele Flücht­linge über die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien, Slowenien, Mazedonien.

LOOP: Also die ganze Balkan­route. Und bist du allein gekommen. Mit welcher Idee bist du gekommen?
Yassin: Ich bin von dort abgehauen.
Ich bin, wie gesagt, mit zwei in den Iran gekommen, samt meinen Eltern. Als ich zwölf war, haben meine Eltern sich getrennt. Meine Mutter ist mit meinem großen Bruder gegangen. Wohin? Weiß ich nicht. Vermutlich nach Afgha­nistan. Und mein Vater hat mich zur Arbeit geschickt. Mit zwölf, im Iran. Ich musste auf verschie­denen Baustellen in Teheran und Karadsch arbeiten und in einer Näherei.

Auf den Baustellen war die Arbeit schwer und die Chefs waren nicht nett zu mir. Im letzten Jahr in der Näherei hatte ich dann schon einen netteren Chef, der mich kannte, und mit dem ich ganz gut klar kam. Und mit 15 hatte ich die Idee, ich habe die Nase voll. Ich gehe zurück nach Afgha­nistan, um meine Mutter zu suchen.

Davon hat mir dann aber mein Chef abgeraten, weil ich hätte ja durch Pakistan illegal wieder nach Afgha­nistan gehen müssen. Der Weg wäre sehr kompli­ziert und gefährlich gewesen. Und dann hat mein Chef mir gesagt, „Geh nach Europa! Da kannst du dir dein Leben aufbauen. Vielleicht kannst du irgendwann auch nach Afgha­nistan zurück gehen und deine Mutter suchen.“

Es war ein langer Weg, bis ich mich endgültig entschieden habe. Und so habe ich ein Jahr lang da gearbeitet und Geld gespart bei meinem Chef. Dann hat er mich losge­schickt in Richtung Türkei. Ich bin im Kaukasus fast zwei Monate lang geblieben, weil ich nicht genug Geld hatte. Dort durfte ich in einer Wohnung bleiben mit anderen Leuten. Aber ich musste hart arbeiten, Geschirr waschen, Sachen sauber­machen usw. Und dann irgendwann habe ich einen Kollegen getroffen, der kannte meinen Chef aus dem Iran. Der hat mir gesagt, viele Flücht­linge haben sich ein Boot gekauft. Selbst die, die wie du kein Geld hatten, um es zu bezahlen. Dann hat er mir ein bisschen Geld gegeben und mich losgeschickt.

Zuletzt sagte er noch, also, mein Chef meinte: „Da wo du hinkommst, musst du die Sprache lernen. Danach kriegst du alles hin, was du da machen willst.“

LOOP: Und dem hast du damals vertraut. Es war ja auch riskant, oder? Oder hast du es gar nicht so gesehen, dass es riskant ist? Ich meine, diese Reise. Du hast nicht gewusst, was auf dich zukommen würde.
Yassin: Von Erzäh­lungen wusste ich, dass das anstrengend ist, dass das schwierig wird. Und es sind auch viele Sachen passiert. Aber man denkt nur: Ich muss nur weiter­gehen, ich kann nicht zurück. Ich wurde sogar von irani­schen Soldaten erwischt, eine ganze Gruppe von uns. Wir wurden drei Stunden festge­halten. Ich hatte kein Geld dabei, um sie zu bestechen. Es sollte ein Auto kommen, um uns abzuholen, wieder zurück nach Afgha­nistan zu bringen. […]

Das Auto kam aber nicht, auch nicht nach drei Stunden, daraufhin sagte einer der Soldaten: „Ich habe keinen Bock mehr und ihr geht jetzt einfach weiter“. Der hat uns den Weg gezeigt und gesagt „Geht! Kommt nie wieder zurück hierher.“ Dann sind wir weiter gegangen. Danach waren wir total fertig.

LOOP: Okay? Ja. Ich glaube, du hast noch eine Menge erlebt, oder?
Yassin:  Das kann man so sagen. Ja.

LOOP: Da machen sich viele Jugend­liche, hier leben, keine Gedanken. Was du oder was Menschen ähnlich wie du überhaupt schon erlebt haben.
Yassin: Es gibt auch Leute, die Schlim­meres als ich erlebt haben.

LOOP: Hattest du mal die Idee, dass du das nicht überlebst? Du musst das nicht beantworten.
Yassin: Sterben nicht, aber in einer Situation auf dem Weg aus dem Iran in die Türkei da habe ich mich so anstrengen müssen, das war der anstren­gendste Tag bisher. Da gab es nur eine Straße an der Grenze. Man musste 100 Meter nur rennen, bis man in der Türkei war. Das ist quasi die Grenze zwischen Iran und Türkei. Man musste rennen, damit man nicht von den türki­schen Soldaten erwischt wird. Und da sagte der Mann, der uns begleitet hat: „Wenn ich das sage rennt, dann müsst ihr alle sofort rennen.“ Da hab ich sowas von Bauch­schmerzen bekommen, dass ich dreimal am Zaun runter­ge­fallen bin. Da dachte ich wirklich, ich schaffe das nicht. Ich habe mich mehrfach [am Zaun] geschnitten. Ich bin dreimal runter­ge­fallen. Der ganze Stress und noch die Bauch­schmerzen und noch die Koffer der anderen Familie, die auch dabei war. Als ich es dann doch geschafft habe, bin ich nur gerannt, denn ersten Berg hoch und dann wollte ich noch den zweiten hoch, aber da sah ich da Leute, nur ältere Leute, die hatten ein Mädchen dabei, das schrie ganz laut. Die hat die ganze Zeit geschrien. Da dachte ich, wenn sie noch mehr schreit, dann werden wir alle gefunden.

Ich bin dorthin gerannt, habe erstmal diesem Mädchen geholfen, um hochzu­kommen, dann die anderen Leute hoch geschleppt. Das Schlimme war, die jüngeren Leute von dieser Gruppe, die hatten unten schon ein kleines Feuerchen gemacht und sich gewärmt. Die haben einfach nicht geholfen. Das war so erschre­ckend. Es gab da auch viele kleinere Kinder. Die halt noch nicht so gut laufen konnten, durch die Berge. Und dazu war es eisig kalt. Ich habe meine Mütze wegge­geben, Handschuhe und meinen Schal. Alles. Und die Kinder? Ich habe dann halt zwei fremde Kinder einfach mitge­nommen und bin mit Ihnen gelaufen.

LOOP: Zwei Kinder, die du vorher gar nicht kanntest. An jeder Hand eins?
Yassin: Ja, deren Eltern mussten ja die schweren Koffer tragen.

LOOP: Und sind sie auch durchgekommen?
Yassin: Ja, wir sind alle noch durchgekommen.

LOOP: Ich verstehe dein persön­liches Engagement in dem sozialen Bereich, das bekommt ein Fundament.
Yassin: In Extrem­si­tua­tionen muss man doch helfen. Man kann nicht nur an sich denken.

LOOP: Was du da sagst, da stimme ich mit dir überein. Aber ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte. Keine Ahnung. Ich habe das, was du erlebt hast, noch nicht annähernd erlebt in meinem Leben. Ich kann dir nicht sagen, wie ich gehandelt hätte. Ich weiß es nicht.
Yassin: Mit dieser Familie bin ich dann nach Deutschland gekommen. Wir sind dann erst mit dem Boot bis nach Griechenland. Dort sind wir zwei Tage geblieben und eine Nacht. Und dann haben wir ein Ticket für ein Schiff nach Athen gekauft.

In Athen sind wir nur kurz gewesen und haben schnell ein Busticket nach Mazedonien gekauft. Da durften wir mit einem Zug nach Kroatien, Serbien, ich wusste nicht, was da noch kommt. Es waren so viele andere Flücht­linge unterwegs, so viele. Man musste nicht nach dem Weg fragen, man musste nur den vielen Leuten folgen.

Dann sind wir noch bis nach Linz gekommen in Öster­reich, da mussten wir einen Abend bleiben und dann noch mit Bus nach Deutschland. Da angekommen kamen wir in ein großes Lager. Keine Ahnung vom Militär oder sonst was. Es war sehr kalt. Kein Bett, gar nichts. Auch da sind wir nur einen Abend geblieben und am nächsten Tag durften wir in einen Zug einsteigen. Und dann sagte ein Dolmet­scher, dass dieser Zug nach Düsseldorf fährt. Es dauert zwölf Stunden und dann hätte man entscheiden können, wohin man wollte.

LOOP: Du konntest entscheiden, wohin du willst?
Yassin: Ja. Viele wollten nicht in Deutschland bleiben, noch weiter­gehen. Wir sind dann am Flughafen in Düsseldorf angekommen, Abends so 23 oder 24 Uhr. Und da hatte ich nur noch 20 € im Porte­monnaie. Okay. Ich kam also nicht mehr weg. Ich konnte kein Ticket mehr kaufen. Ich konnte nicht mehr weggehen. Die Familie, die ich kennen­ge­lernt hatte, die hatten noch Bekannte hier in Deutschland. Die wollten nach Dortmund, glaube ich. Die sind dann auch gegangen. Und ich musste dableiben.

Da habe ich geweint, denn ich wusste nicht, was ich hier machen soll. Ich kannte ja niemanden. Und da kam so eine Dolmet­scherin zu mir. Und sie fragte mich, wie ich da hinge­kommen bin, was ich da mache, warum ich allein bin und sowas, das habe ich ihr alles erzählt. Dann sagte sie: „Bleib mal lieber hier, ich schicke dich in ein Heim.“ Und dann bin ich geblieben, bis alle weg waren.

Das war an Silvester. [In einer Unter­kunft angekommen] sagten alle zu mir, dass heute, keine Ahnung, Feuerwerk ist. Ich solle mich nicht erschrecken. Aber Ich war so müde, ich bin direkt schlafen gegangen. Am nächsten Morgen war ich duschen. Ich hatte keine Klamotten, da habe ich von den anderen Jungs, die da waren, Klamotten geliehen bekommen und wieder einge­schlafen. Tatsächlich, habe ich wohl 16 und 18 Stunden nur geschlafen. So zwei oder drei Wochen war ich da. Dann kam ich ins Kinder­hil­fe­zentrum in der Eulerstraße.

Von da aus sind wir umgezogen in ein Altenheim. In der Ludwig-Becker-Allee, glaub ich. Mit drei Taschen. Ich habe Taschengeld bekommen von den deutschen Behörden, vom Jugendamt. Und dann bin ich nach Wittlaer gekommen in eine Wohngruppe für unbegleitete minder­jährige Flücht­linge. Ein Jahr und drei Monate war ich da, dabei sollte es nur 2 bis 6 Monaten dauern, das Clearing. Es hat wirklich lange gedauert. Irgendwann sollte ich mir Heim in Aachen ansehen, aber da wollte ich nicht hin. Dann durfte ich in Wittlaer bleiben. Und dann kam LOOP.

LOOP: Da gab es die Idee von einer Verselbst­stän­digung, du hast direkt deine eigene Wohnung bekommen, mit 17 Jahren.
Yassin: Mit 17!

LOOP: Okay. Da bist du dann angekommen? Das war eine ganz schöne Odyssee, eine kompli­zierte Reise. Und Jörg hat dich ab diesem Zeitpunkt betreut. Wie habt ihr euch am Anfang verständig?
Jörg: Du konntest schon ganz gut Deutsch. Ich hab dann so ein richtiges Wörterbuch gekauft. Und noch so eins mit Bildern, glaube ich. Oder wir haben eine Suchma­schine im Internet genutzt. Also, das ging ganz gut.

LOOP: Bist du nach der Ankunft in Deutschland in einer Schule gewesen?
Yassin: Ich habe einen Platz bekommen am Max Weber Berufs­kolleg, in der inter­na­tio­nalen Förder­klasse. Die war für Flücht­linge, die hierher kommen sind und erstmal aufs Deutsch lernen fokus­siert sind. Nebenbei konnte man auch andere Fächer lernen, aber im Wesent­lichen hab ich Deutsch gelernt. Es war mir sehr wichtig Deutsch zu lernen, ich wollte dann auch in Deutschland bleiben. Jörg hat sich sehr, sehr viel um mich gekümmert. Er hat mir so viel beigebracht, wie das Leben in Deutschland funktio­niert, was wichtig ist, was zu beachten ist. Ich habe ca. ein Jahr in der eigenen LOOP@home Wohnung gewohnt, dann bin ich zu Jörg gezogen auf den ausge­bauten Dachboden, weil die Hilfe einge­stellt wurde. Das war so 2–3 Monat bevor ich 18 wurde.

LOOP: Jörg, was war deine Motivation, ihn zu adoptieren?
Jörg: Da muss ich ein wenig ausholen. Für Yassin war das Wichtigste seine Deutsch­kennt­nisse. Er wollte sie stetig verbessern. Und es gab irgendwann im Sommer 2017 ein Hilfe­plan­ge­spräch. Dort sind wir hin und Yassin hatte den Wunsch einen externen Deutschkurs zu besuchen, der aber kosten­pflichtig war. Das war ein völlig idioti­sches Gespräch. Wir saßen da in der Wohnung von Yassin in der Kirch­feldstr. Sechs Erwachsene und Yassin. Ich saß neben ihm auf dem Sofa und formu­lierte mit ihm die Bitte nach dem Deutschkurs, darum drehte sich das Gespräch, aber im Kreis. Keiner vom Amt wollte sich dazu äußern. Schweigen. Yassin fing plötzlich an zu zittern. Ich bemerkte, dass er ganz aufgeregt war, und er fing an zu weinen. Und dann habe ich seine Hand genommen und gesagt: Jetzt muss irgend­jemand, sich zu dieser Frage mal äußern. Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hat dann die Frau vom beim Jugendamt gesagt: „Nee, da gibts kein Geld für den Kurs. Da wurde die Verzweiflung bei Yassin immer größer.“ Da habe ich dann gefragt, was der Kurs kostet. Ich hatte die Überlegung, wenn das jetzt nicht 4.000 € kostet, dann bezahl ich den. Der sollte ca. 350 Euro kosten und mit Düsselpass musste man nur 155 € zahlen. Anschließend sagte ich zu ihm: „Mach dir keine Sorgen, das kriegen wir gebacken.“ Ich mache den Job ja jetzt schon sehr lange und mir war schon länger klar, dass ich es hier nicht mit irgend­einem Jugend­lichen zu tun habe, der einfach irgendwie ein bequemes Leben führen und versorgt werden will, sondern der hat was vor. Das war so ein Punkt, wo sich mein Verhältnis zu Yassin verändert hat. Ich merkte dann irgendwann, dass ich Vater­ge­fühle entwi­ckelte. Und ich hatte das Gefühl, dass du so ein ähnliches Gefühl zu mir entwi­ckelt hast. Jetzt muss man dazu sagen, dass Yassins Verhältnis zu seinem leiblichen Vater, das hat er eben nicht so deutlich gesagt, extrem schwierig war. Er hat ihn geschlagen, misshandelt, ausge­beutet. Du musstest das ganze Geld, was du verdient hast, abgeben. Er hat Yassin quasi als Einnah­me­quelle benutzt. Das wusste ich natürlich alles. Und ich merkte, da ist irgendwie eine Sehnsucht nach einer Vater­figur. Und mit 18, mit 18 ist das dann kein Problem mehr mit der Adoption. Die Adoption, als er noch minder­jährig war, wäre wirkungs­voller, dann wäre er nämlich jetzt deutscher Staatsbürger.

Das wären aber Prozesse gewesen, die dauern Jahre, weil man die Identität nachweisen muss und das Einver­ständnis der leiblichen Eltern. Und in Afgha­nistan gibt es alle diese Behörden nicht.

LOOP: Und jetzt bist du afgha­ni­scher Staats­bürger. Hast du hier eine Duldung? Gibt es eine Aussicht darauf, dass du irgendwann mal deutscher Staats­bürger werden kannst? Musst du einen Beruf nachweisen?
Yassin: Das ist sehr kompli­ziert. Ich habe schon drei Ablehnungen.

Jörg: Der Antrag auf Asyl ist abgelehnt worden. Da haben wir beim Verwal­tungs­ge­richt dagegen geklagt. Wir sind damit gescheitert. Und dann haben wir einen Antrag auf Wieder­auf­nahme des Verfahrens beim Oberver­wal­tungs­ge­richt in Münster gestellt. Der ist jetzt auch abgeschmettert worden. Das ist so das übliche Prozedere. Wir haben dann nach diesem Tag, dieser letzten Ablehnung, noch mal Kontakt mit der Anwältin aufge­nommen. Und jetzt hat Yassin einen weiteren Antrag gestellt.

Yassin: Dafür muss man so mindestens, acht Jahre in Deutschland sein. Wenn man einen Schul­ab­schluss hat, dann verkürzt sich das auf fünf Jahre.

LOOP: Was für einen Schul­ab­schlusshast du?
Yassin: Fachabitur, ich wollte das Vollabitur, das habe ich aber leider nicht geschafft. […] Ich kann damit auch studieren. Ich beginne gerade mein Anerken­nungsjahr für die Erzie­her­aus­bildung . Noch ein Jahr, dann bin ich fertig damit. Dann will ich studieren.

Mein Anerken­nungsjahr mache ich in Düsseldorf Oberbilk im Jugendclub, das ist im 2023 im August zu Ende und dann schauen wir mal.
In den Jugendclub können alle Kinder – und Jugend­liche von 6 bis 18 aus dem Kiez hinkommen. Da ist jeden Tag offen. Und da können die z. B. Tisch­tennis spielen, Kicker spielen, Kochen, Fußball, die Kinder werden dort betreut. Ich habe einen Vorteil. Dort kommen überwiegend Kinder und Jugend­liche aus Oberbilk, und zwar aus dem Teil Oberbilk, in dem jetzt eher überwiegend Ausländer wohnen, wo die Kinder extrem belastet sind. Ich komme dazu und diese Lebenswelt, die ist mir vertraut die Armut, die Bindungslosigkeit.

LOOP: Wie hast du LOOP kennen gelernt? Wie hast du LOOP wahrgenommen?
Yassin: Wie wir uns kennen­ge­lernt haben. Also ich hatte einen Termin bei Frau P., vom Jugendamt, da bin ich hinge­gangen. Und ich war da, eine Dolmet­scherin war da und Christian von LOOP.  Dann hat mir Christian erzählt: „Du kriegst von uns eine Wohnung. So und so groß ist die Wohnung. So und so viel Geld kriegst du pro Monat. Du wirst betreut von Jörg.“ Und dann dachte ich okay, ich wollte halt von Wittlaer weg. Dann habe ich eine eigene Wohnung. Besser geht’s nicht. Und dann fuhr ich mit Jörg zur Wohnung und sie hat mir gefallen. Die Wohnung war groß, mit Schlaf­zimmer und  Wohnzimmer, Küche, Badezimmer. Jörg hat mir so ein paar Regeln gesagt.

Jörg: Ja, das Übliche halt.

Yassin: Nach den Regeln habe ich Geld bekommen, um einkaufen zu gehen. An dem Tag hatte ich freige­nommen, weil ich umziehen musste. Am nächsten Tag bin ich zur Schule gegangen, hab meinen Freund mitge­nommen zum Einkaufen und dann haben wir die Wohnung sauber gemacht.

Jörg: Du hast mir Bescheid gegeben, was du brauchst. Ich hatte sofort den Eindruck, dass du mir keinen Mist erzählst. An dem Tag, als Yassin in die von LOOP angemietete Wohnung einge­zogen ist, habe ich sie auch zum ersten Mal gesehen. Ich wusste nicht, wer da vorher gewohnt hat. Das ist so ein bisschen blöd gelaufen, die Wohnung war wirklich nicht besonders sauber. Da musste natürlich dann rasch gehandelt werden. Ich bin dann zu Ikea gefahren usw.

Und wie eben schon beschrieben, bei den Gesprächen im Jugendamt, da merkte ich, hier sitzt jemand, der sich anstrengen will, nicht nur Versorgung. Sondern der mehr will. Wenn du den Job so lange machst wie ich, (Mehr als 20 Jahre A.d.R.) na ja, man kriegt ganz oft mit Leuten zu tun, die nur ein Dach überm Kopf haben wollen. Und da war Yassin, dem ging es auch darum, ein Dach über dem Kopf zu haben, der wollte aber auch mehr. Der hatte eine Vorstellung von seinem Leben. Und je mehr ich dann von seiner Lebens­ge­schichte mitbe­kommen habe, umso mehr habe ich dann auch verstanden, warum er so ein Ehrgeiz hatte.

LOOP: Was ist die Idee hinter dem Ehrgeiz?
Yassin: Die Idee sind meine Freunde. Im Iran hatte ich drei beste Freunde.

Einer lebt jetzt in Amerika. Und zwei sind immer noch im Iran. Das war unser Ursprungsland. Schon ganz früh wollten wir alle Ingenieure werden. Zwei haben das schon geschafft. Einer ist in Amerika. Er hat in Kasachstan sein Studium gemacht. Jetzt ist er mit seiner Familie seit ein paar Monaten in Amerika.

Der andere Freund hat das Studium im Iran geschafft, aber keinen Job gefunden, weil er ein „Quasi-Afghane“ ist.  Und so im Iran einen Job zu finden als Ingenieur, Arzt oder sowas ist beinahe unmöglich. Die Afghanen sind im Iran der letzte Dreck. Denn jetzt steht sogar im Gesetz, welche Berufe man als Afghane im Iran machen darf.

Ich bin jetzt in Deutschland, Ich habe meine Ausbildung gemacht und ich muss auch irgendwann meinen [Maschinenbau-]Ingenieur machen. Aber wenn ich den Ingenieur nicht schaffe, dann muss ich irgendwas anderes schaffen. Sozialpädagoge.

Nach dem Gespräch war ich sehr beein­druckt von Yassin, der abschließend noch von Fahrten mit LOOP ins Phanta­sialand erzählte (künst­licher Nerven­kitzel, was für ein Hohn) und von dem schwie­rigsten deutschen Wort, das es eine Zeitlang für ihn gab: Dunst­ab­zugs­haube. Er hat viel gelacht beim Deutsch lernen.

Seine Erleb­nisse stehen stell­ver­tretend für viele andere Kinder und Jugend­liche, die 2015 nach Europa geflohen sind in Angst und Not. Anderer­seits ist es sein eigenes einzig­ar­tiges Erleben, von dem er, heute in Sicherheit, berichten kann. Er will seine Fähig­keiten erweitern und was aus sich machen. Ich bin ihm dankbar, für diesen Blick in seine Welt. Vielleicht gibt es eine Fortsetzung? Studiert er doch noch Maschinenbau?

Dieses Interview wurde geführt von Friedel Fried­richs. Diplom-Pädagoge bei LOOP

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