Flucht und Trauma- Ein persönliches Essay von Dirk Richter

Flucht und Trauma
Ein persönliches Essay
Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine führt uns das unermessliche Leid der Zivilbevölkerung tagtäglich vor Augen. Die Kinder, als die Schwächsten der Gesellschaft, leiden in unvorstellbarem Maß unter Terror und Not. Was für viele bleibt ist nur die Flucht.
Ich habe diese Erfahrungen nur aus zweiter Hand kennengelernt und dennoch haben sie mein Aufwachsen und mein Leben in besonderem Maß geprägt.
Mein Vater (Jahrgang 1936) stammte aus Bessarabien am schwarzen Meer, eine Gegend, die in der heutigen Ukraine und nahe Odessa liegt. Er wurde zusammen mit seiner Mutter und den 6 Geschwistern am 06.10.1940 nach dem verbrecherischen Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, nach Westpolen ins damals sogenannte Wartheland umgesiedelt.
Er war schon als kleines Kind an Kinderlähmung erkrankt und hatte diese schwere Erkrankung mit einem verkürzten Bein überlebt.
Beim Vorrücken der roten Armee begab sich meine Oma mit ihren Kindern auf die Flucht nach Westen. In den Wirren der Flucht wurde mein Vater im Alter von 8 Jahren von seiner Familie getrennt. Er konnte unter großer Angst und unvorstellbaren Entbehrungen, getrieben nur von einem unbändigen Überlebenswillen, die folgenden 3 Jahre überleben. Wie durch ein Wunder fand die Familie wieder zusammen und kam über diverse Flüchtlingscamps bis nach Hückeswagen in eine Flüchtlingsunterkunft. Hier erlitt mein Vater, durch einen vom Kohleherd gestoßenen vollen Suppentopf, lebensgefährliche Verbrennungen am ganzen Körper und musste die folgenden 2 Jahre im Krankenhaus verbringen.
Diese hier kurz gefasste Fluchterfahrung und die daraus resultierenden Traumata prägten ihn und dadurch auch mich in meinem Aufwachsen.
Ich kann nicht ermessen, was jeder einzelne flüchtende Mensch und jedes Kind durchmacht. Dennoch bilde ich mir ein, auch durch meine persönliche Geschichte, vieles nachfühlen zu können.
Diese Geschichte ist Teil der Entstehungsgeschichte von LOOP.